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Die Börse auf Konfrontationskurs zur Inflationskehrtwende der Fed und EZB

Veröffentlicht am
15. Februar 2022
Lesezeit
4 Minuten Lesedauer

Die anhaltende Inflation im Jahr 2022 dürfte die Ungewissheit in Bezug auf die Zinssätze erhöhen, was starke Schwankungen an der Börse erwarten lässt. Dennoch dürften sich aus dieser Volatilität der Finanzmärkte Chancen für Anleger ergeben, so Frédéric Leroux, Mitglied des Strategic Investment Committee von Carmignac.

Wie blicken Sie als Anleger auf das Jahr 2022?

Frédéric Leroux: Der Beginn des Jahres 2022 steht ganz im Zeichen der Inflation. Nach so vielen Jahren ohne Preisanstiege bedeutet dies einen grundlegenden Wandel. Das gilt insbesondere für die Zentralbanken, also die Aufsichtsbehörden, die die Wirtschaft regulieren, indem sie vor allem Einfluss auf die Zinssätze nehmen.

Was bedeutet das?

F.L.: Mehr als zehn Jahre lang konnten die Zentralbanken die Konjunktur dank des dauerhaft trägen Wirtschaftswachstums in Kombination mit einer fehlenden Preisdynamik durch Zinssenkungen oder Wertpapierkäufe stützen. Sobald es schlechte Konjunkturdaten gab, pumpten sie Geld in die Finanzmärkte – die berühmten Liquiditätsspritzen. Mit ihren Maßnahmen folgten sie in erster Linie den Erwartungen oder dem übermäßigen Handelstreiben der Anleger, die jenseits von ihren eigenen Bedürfnissen durch nichts gebremst wurden.

Sie sprechen in Bezug auf dieses Jahr von Inflation. Noch vor ein paar Monaten gingen einige Beobachter nur von vorübergehenden Preisanstiegen aus ...

F.L.: Monatelang erklärte uns der Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), dass die Inflation „vorübergehend“ sei. In einem beinahe absurden Manöver änderte er kürzlich radikal seine Meinung zu diesem Thema. Merkwürdig spät haben die Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) offensichtlich erkannt, dass die Inflation eben nicht vorübergehend ist. Von einer Position des Leugnens gehen sie nun zu sehr entschlossenen Ankündigungen in Bezug auf Zinsanhebungen über, um den explosionsartigen Preisanstiegen entgegenzuwirken.

Wie wirkt sich der Preisanstieg auf die Zentralbanken und letztlich auf die Börse aus?

F.L.: Inzwischen ist eingetreten, was wir bereits vor einigen Monaten für möglich hielten: Nachdem die Inflation so lange Zeit von der Bildfläche verschwunden war, ist sie nun zum bestimmenden Faktor für die Maßnahmen der Zentralbanken geworden. Ihnen bleibt derzeit keine andere Wahl, als sich den Anforderungen durch die Inflation zu beugen – schließlich haben sie einen konkreten Auftrag, dem sie nicht ewig zuwiderhandeln können. Eine zentrale Aufgabe ist dabei die Gewährleistung der Preisstabilität. Wenn die Zentralbanken bei der Inflation Kompromisse eingehen, dann bewegen sie sich schnell außerhalb des Gesetzes.

Wie wirkt sich diese Situation auf die Anleger aus?

F.L.: Die Rückkehr der Inflation als bestimmender Faktor für die Geldpolitik hat zwei wesentliche Folgen. Die erste ist eine größere Ungewissheit für die Anleger im Hinblick auf die Zinsentwicklung und ihre Auswirkungen auf die Volatilität der Finanzmärkte. Die Kehrtwende der Fed und der EZB ist nur ein Vorbote für die destabilisierende Unberechenbarkeit der Inflation und die Schwierigkeiten, sie mit einem fortlaufend anwendbaren, genormten Verfahren in den Griff zu bekommen. Die Volatilität ist zurück!

Und die zweite Folge?

F.L.: Um ihren Auftrag zu erfüllen, sehen sich die Zentralbanken künftig möglicherweise gezwungen, die liquiden Mittel abzuziehen, die sie seit Jahren in die Börsen auf der ganzen Welt pumpen. Sie müssen also das umsetzen, was Ökonomen als „Straffung der Geldpolitik“ bezeichnen – selbst zu Zeiten, in denen sich ein Abschwung andeutet. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass dies heute in den USA und morgen vielleicht in Europa der Fall sein wird.

Wieso?

F.L.: Jetzt wird es etwas fachspezifisch, aber parallel zur Anhebung der kurzfristigen Zinsen wird die US-Notenbank unserer Einschätzung nach außerdem schnell ihr Anlageportfolio verkleinern, das sie seit mehr als zehn Jahren aufgebaut hat, sodass auch die langfristigen Zinsen steigen. Damit will die Fed eine sogenannte „Inversion der Renditekurve“ vermeiden – also eine Situation, in der die kurzfristigen Zinssätze zwischen einigen Monaten und einem Jahr höher liegen als die langfristigen Zinsen über mehrere Jahre.

Was bezweckt die Fed damit?

F.L.: Für die US-Notenbank steht einiges auf dem Spiel: Sie muss vor allem dafür sorgen, dass sich der Immobilienmarkt abkühlt, der sehr empfindlich auf Änderungen der langfristigen Zinsen reagiert. Derzeit gibt es deutliche Anzeichen einer Überhitzung. Der US-amerikanische Wohnimmobilienmarkt ist immer spekulativer geworden. Verantwortlich für die hohen Preise sind Anleger, die in einem Umfeld extrem niedriger Zinsen nach Renditemöglichkeiten suchen – sehr zum Leidwesen aller, die auf Wohnungssuche sind.

Gibt es Ihrer Ansicht nach einen weiteren Grund für diese Kehrtwende?

F.L.: Vielleicht hat der Vorsitzende der Fed, Jerome Powell, auch festgestellt, dass dieser Konjunkturzyklus keinem anderen gleicht. Denn angesichts der Hilfsmaßnahmen für Privathaushalte und Unternehmen zur Bewältigung der COVID-19-Krise befinden sich diese in einer günstigen Finanzlage. Infolgedessen könnte es länger dauern, bis sich die Beschlüsse der Zentralbanken auf die Preise auswirken. Dennoch müssen wir im Hinterkopf behalten, dass nicht alle unsere Sicht auf die Inflation in den USA teilen.

Was bedeutet das?

F.L.: Die meisten Analysten sind nach wie vor skeptisch dahingehend, ob der Preisanstieg in den USA auch wirklich von Dauer ist. Die Sorge um sinkende Preise, von der die Finanzmärkte im zurückliegenden Jahrzehnt geprägt waren, ist noch immer sehr präsent. Ökonomen gehen im Durchschnitt von einem Rückgang der Inflation auf etwa 2,5 Prozent in den nächsten zwei Jahren aus, was durchaus vorstellbar ist. Unserer Ansicht nach bleiben bei dieser Prognose allerdings potenzielle Inflationstreiber unberücksichtigt, zum Beispiel der Energiepreis, geplante Standortverlagerungen von Industrieunternehmen oder eine aus demografischen Gründen sinkende Sparquote.

Wie sieht es in Europa aus?

F.L.: Christine Lagarde, die Vorsitzende der EZB, schlägt bei der Inflation inzwischen ebenfalls ganz andere Töne an. Damit ebnet sie schon in diesem Jahr den Weg für einen Kurswechsel in der jahrelang verfolgten Politik der Europäischen Zentralbank. Allerdings kann man sich fragen, welche „Offenbarung“ zu ihrem plötzlichen Sinneswandel geführt hat, denn im Wesentlichen ist die aktuelle Inflation in Europa durch einen Faktor bedingt, auf den die EZB keinerlei Einfluss hat: den Energiepreis.

Könnte es mit den Löhnen zusammenhängen, von denen momentan so viel gesprochen wird?

F.L.: Die Angst, dass mit aller Härte geführte Lohnverhandlungen in Europa eine Inflationsdynamik wie in den USA auslösen könnten, scheint berechtigt. Wo sich lange nichts bewegt hat, könnte plötzlich ein Umbruch stattfinden. Zunächst sollten wir jedoch die Situation in den Vereinigten Staaten genau im Blick zu behalten, denn sie wird für Europa entscheidend sein.

Worauf können wir uns vor diesem Hintergrund im Börsenjahr 2022 gefasst machen?

F.L.: Das neue Jahr verspricht auf in jedem Fall Volatilität, Aufregung und viele Chancen. Es wird eines dieser Jahre sein, die voller Herausforderungen und Umschwünge sind, und damit unserer Berufung hier bei Carmignac entgegenkommen. Denn als aktive Fondsmanager erkennen und nutzen wir Chancen in einem wechselhaften Marktumfeld, anstatt einfach nur passiv investiert zu bleiben.

Quelle: Carmignac, Bloomberg, 04/02/2022

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