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Politik der Zentralbanken: eine verspätete Kehrtwende mit Folgen

Veröffentlicht am
15 Februar 2022
Lesezeit
7 Minuten Lesedauer

Der Beginn des Jahres 2022 stand ganz im Zeichen der Inflation, nachdem diese viele Jahre lang von der Bildfläche verschwunden war. Ihre Abwesenheit schürte einerseits die Sorge um eine verheerende Deflation, ließ den Zentralbanken andererseits aber viel Freiraum.

Über ein Jahrzehnt lang konnten sie die Konjunktur dank der dauerhaft trägen Wirtschaft in Kombination mit einer fehlenden Preisdynamik ganz nach Bedarf durch eine Senkung der kurzfristigen Zinsen oder durch Anleihenkäufe stützen, die wiederum einen Zinsrückgang bei Anleihen mit längeren Laufzeiten bewirkten (Quantitative Easing). Die Zentralbanken und die Märkte konnten sich durch ihre geäußerten Erwartungen oder ihr übermäßiges Handelstreiben die umzusetzende Geldpolitik „aussuchen“ und wurden dabei jenseits ihrer eigenen Bedürfnisse von nichts gebremst.

In dieser Zeit verwandelten sich negative Wirtschaftsmeldungen – die häufiger vorkamen als positive – in gute Neuigkeiten für die Märkte, da die Zentralbanken jedes Mal liquide Mittel in die Märkte pumpten, die wie ein äußerst potenter Treibstoff wirkten. Doch diese Zeiten sind vorbei. Und inzwischen ist eingetreten, was wir bereits vor einigen Monaten für möglich hielten: Nach ihrer langen Abwesenheit ist die Inflation nun zum bestimmenden Faktor für die Geldpolitik geworden.

Den Währungshütern bleibt derzeit keine andere Wahl, als sich den Anforderungen durch die Inflation zu beugen – schließlich haben sie einen konkreten Auftrag, dem sie nicht ewig zuwiderhandeln können. Eine zentrale Aufgabe ist dabei die Gewährleistung der Preisstabilität. Wenn die Zentralbanken bei der Inflation Kompromisse eingehen, dann bewegen sie sich schnell außerhalb des Gesetzes.

Die Rückkehr der Inflation als bestimmender Faktor für die Geldpolitik hat zwei wesentliche Folgen. Zunächst sorgen die plötzlichen Sprünge im geldpolitischen Kurs für eine deutlich höhere Ungewissheit in Bezug auf die künftigen Zinssätze. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Geldpolitik in Echtzeit auf die schwer vorhersehbare Entwicklung der Inflation reagieren muss. Die Volatilität der Anleihenmärkte wird sich demnach verstärken, und mit ihr jene der Aktienmärkte.

Versuche, den Märkten die geldpolitischen Beschlüsse im Voraus anzukündigen, um ihre unmittelbaren Folgen abzufedern, werden in vielen Fällen zum Scheitern verurteilt sein. So hat sich etwa der Tonfall der US-Notenbank (Fed) deutlich verändert, seit sie – merkwürdig spät – im vergangenen November erkannte, dass die Inflation kein vorübergehendes Phänomen ist. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) hat, wie sich den Aussagen ihrer Vorsitzenden Christine Lagarde entnehmen lässt, einen plötzlichen Sinneswandel vollzogen.

Beide Institutionen gingen von einer Verleugnung der künftigen Inflation direkt zur Ankündigung von möglicherweise mehreren Zinsanhebungen über; im Fall der Fed soll dies in Verbindung mit einem schnellen Abbau ihres Anleiheportfolios (Quantitative Tightening) geschehen. Dieses Verhalten ist nur ein Vorbote für die destabilisierende Unberechenbarkeit der Inflation und die Schwierigkeiten, sie mit einem fortlaufend anwendbaren, genormten Verfahren in den Griff zu bekommen. Die Volatilität ist zurück!

Inzwischen bestimmt die Inflation wieder über die Geldpolitik!

Die zweite Folge des „Comebacks“ der Inflation besteht darin, dass die Zentralbanken künftig möglicherweise trotz eines sich andeutenden Abschwungs liquide Mittel abziehen müssen, um ihren Auftrag zu erfüllen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es solch ein Szenario, auf das wir uns in den USA bereits heute und vielleicht auch schon bald in Europa zubewegen.

Tatsächlich stellt die US-amerikanische Konjunktur die Fed vor ein großes Dilemma: Auf der einen Seite ist eine Abschwächung des Wirtschaftswachstums von aktuell mehr als 5 Prozent auf bescheidenere 2 Prozent im letzten Quartal 2022 zu erwarten. Auf der anderen Seite wird die Inflation möglicherweise noch bis in den März hinein bei über 7 Prozent liegen, bevor sie zum Jahresende auf ein immer noch zu hohes Niveau von 3 Prozent sinken könnte. Diese wirtschaftliche Konstellation rechtfertigt eine Straffung der Geldpolitik, um sicherzustellen, dass die Inflationsrate dem Ziel von 2 Prozent ausreichend nahekommt.

In einem langfristigen Umfeld, in dem der Marktkonsens weder zu einer dauerhaft stark von ihrem Ziel abweichenden Inflation, noch zu einem anhaltend dynamischen Wachstum tendiert, löst eine Straffung der Geldpolitik allerdings Angst aus. Dies gilt insbesondere nach 40 Jahren der Disinflation und mehr als 20 Jahren trägen Wachstums. Einige werden daher von einem geldpolitischen Fehler sprechen, andere vom Risiko einer Rückkehr des Deflationsdrucks.

Diese Skepsis in Bezug auf die Inflation kann einen bedeutenden Effekt haben, den die US-Notenbank in Zukunft zu korrigieren versuchen könnte: Höchstwahrscheinlich werden die mehrfachen Leitzinsanhebungen von einem geringeren Anstieg der langfristigen Zinsen begleitet (Abflachung der Renditekurve), da an den Märkten weiterhin die Meinung vorherrschen wird, dass die Reaktion der Fed bereits ausreiche, um die Inflations- und Wachstumstrends zu durchbrechen. Die langfristigen Zinsen werden somit auf einem relativ niedrigen Niveau bleiben.

Die US-Notenbank könnte dies durchaus kritisch betrachten und zu der Ansicht gelangen, dass ihre Straffungsmaßnahmen durch den geringen Anstieg der langfristigen Zinsen möglicherweise unwirksam werden. Die Fed muss vor allem dafür sorgen, dass sich der Immobilienmarkt abkühlt, der deutliche Anzeichen einer Überhitzung zeigt. Da dieser Markt sehr empfindlich auf Änderungen der langfristigen Zinsen reagiert, könnte die Fed künftig versuchen, durch Aufwärtsdruck in diesem Bereich eine ausreichende Verlangsamung zu bewirken.

Der US-amerikanische Wohnimmobilienmarkt ist tatsächlich immer spekulativer geworden. Verantwortlich dafür ist die zunehmende Marktbeteiligung von Anlegern auf der Suche nach Renditemöglichkeiten – sehr zum Leidwesen der Eigenheimkäufer, die zu einem Wettlauf gegen den Anstieg der Quadratmeterpreise verdammt sind. Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass die US-Notenbank ihre Bilanzsumme bereits ab diesem Jahr reduzieren wird, denn dies wirkt sich direkt auf die langfristigen Zinsen aus.

Die Situation in den USA wird für die europäische Geldpolitik entscheidend sein

Vielleicht hängt die abrupte Kehrtwende des Vorsitzenden der US-Notenbank, Jerome Powell, auch mit der Feststellung zusammen, dass dieser Konjunkturzyklus keinem anderen gleicht. Tatsächlich setzt die Straffung der Geldpolitik zu einem Zeitpunkt ein, an dem sich die Wirtschaftsakteure dank der massiven haushalts- und geldpolitischen Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Folgen in einer günstigen Finanzlage befinden. Dadurch sind die Verbraucher weniger den Folgen einer geldpolitischen Straffung weniger stark ausgesetzt.

Allerdings können wir die Skepsis der allgemeinen Marktmeinung in Bezug auf die Dauerhaftigkeit der Inflation in den USA nicht ohne Weiteres abtun. Trotz der aktuellen weltweiten Inflationsphase sind die Deflationsängste, von denen die Märkte das ganze zurückliegende Jahrzehnt über geprägt waren, noch immer sehr präsent. Die Prognose einer Rückkehr der Inflation auf etwa 2,5 Prozent in den nächsten zwei Jahren ist durchaus glaubwürdig, wobei sie einige potenziell inflationäre strukturelle Trends vernachlässigt. Dazu gehören zum Beispiel der Energiepreis, eine aus demografischen Gründen sinkende Sparquote oder geplante Standortverlagerungen von Industrieunternehmen.

Kurzfristig ist denkbar, dass sich die erwartete Konjunkturabschwächung stärker auf die Inflation auswirkt als gedacht. Das Ausmaß der erwarteten Straffung der Geldpolitik könnte daher Schritt für Schritt nach unten korrigiert werden, zumal wir den Eindruck haben, dass die Fed ihren Rückstand in dieser Angelegenheit nach Möglichkeit zumindest teilweise beibehalten möchte. Wir könnten also durchaus eine positive geldpolitische Überraschung erleben – doch dies entspricht nicht unserem Basisszenario.

Auch Christine Lagarde, die die geldpolitischen Geschicke Europas lenkt, schlägt neuerdings ganz andere Töne an und ebnet damit schon in diesem Jahr den Weg für eine mögliche Straffung der Geldpolitik. Es erscheint allerdings fragwürdig, welche Art von „Offenbarung“ hinter diesem plötzlichen Sinneswandel steht. Schließlich ist die aktuelle Inflation in Europa im Wesentlichen durch einen externen Faktor bedingt, auf den die EZB keinerlei Einfluss hat: den Energiepreis.

Befürchtet sie, dass mit aller Härte geführte Lohnverhandlungen in Europa eine Inflationsdynamik auslösen könnten, wie sie in den USA bereits seit einem knappen Jahr vorherrscht? Die Sorge scheint berechtigt. Wo sich lange nichts bewegt hat, könnte plötzlich ein Umbruch stattfinden. Zunächst sollten wir jedoch die Situation in den USA genau im Blick behalten, denn sie wird für die europäische Geldpolitik entscheidend sein.

Das neue Jahr verspricht auf in jedem Fall Volatilität, Aufregung und viele Chancen. Es könnte eines dieser Jahre werden, die voller Herausforderungen und Umschwünge sind. Damit würde es unserer Berufung als aktiven Fondsmanagern weitaus stärker entgegenkommen als frühere eintönige Jahrgänge, in denen die Performance das frustrierende Ergebnis einer einzigen, banalen Entscheidung war: passiv investiert zu bleiben.

Anlagestrategie
Anleihen

Der starke Zinsanstieg, der Mitte Dezember begonnen hatte1, setzte sich zu Beginn des neuen Jahres fort.

Dieser Anstieg entspricht der Marktdynamik, die vor sechs Monaten basierend auf den Erwartungen einer allgemeinen und besonders schnellen geldpolitischen Normalisierung einsetzte. Anleger erwarten nach wie vor weitere Anhebungen der kurzfristigen Zinssätze aufgrund der Inflationsdaten, die immer neue Überraschungen bereithalten. Im Übrigen werden die Prognosen zum Inflationshöhepunkt sowohl bezüglich des Niveaus[2] als auch im Hinblick auf den Zeitpunkt fortlaufend angepasst.

Aus dieser Situation ergeben sich zwei wichtige Feststellungen. Zum einen sind die langfristigsten Zinsen ebenfalls gestiegen, auch wenn die jüngste Entwicklung mit einer Abflachung der Zinsstrukturkurve[3] einherging. So kletterte der Zinssatz für 10-jährige Bundesanleihen wieder in den positiven Bereich und die Zinssätze für 10- und 30-jährige US-Staatsanleihen überschritten bedeutende technische Schwellenwerte[4]. Zum anderen wurde der Zinsanstieg weltweit durch die Realzinsen getragen und nicht durch die Inflationserwartungen; das gilt insbesondere für die USA. Dies lässt auf eine erwartete Verschärfung der Finanzierungsbedingungen schließen, die zum weiteren Anstieg der Risikoprämien an den Kredit- und den Schwellenmärkten beitragen wird, während diese Märkte zugleich unter den Spannungen zwischen Russland und der Ukraine zu leiden haben.

Vor diesem Hintergrund haben wir unser Exposure in den Kreditmärkten über den Kauf von Absicherungen und Gewinnmitnahmen bei bestimmten Anleihen weiter verringert. Zudem sind wir neue Positionen in Schwellenländern eingegangen, die trotz ihrer sehr unterschiedlichen Fundamentaldaten unterschiedslos gelitten haben. An den Zinsmärkten haben wir unsere Short-Positionen auf Anleihen der Kernländer beibehalten und in einigen Fällen erhöht.

Bisher hielt sich die Volatilität, die seit mehreren Monaten an den Zinsmärkten zu beobachten ist[5], bei den Aktien eher in Grenzen. Das hat sich inzwischen geändert. Die Aussicht auf eine Reduzierung der geldpolitischen Anreize – der wesentliche unterstützende Faktor für Aktien – hat die Börsen rund um den Globus nun doch erreicht. Allerdings sagt der Kontrast zwischen dem Energiesektor einerseits (mit knapp +20 Prozent im Januar) und den Sektoren Nicht-Basiskonsumgüter sowie Immobilien andererseits (Rückgang um -10 Prozent) viel über die Einflussfaktoren dieser Marktdynamik aus.

Der bereits seit 2021 sichtbare Unterschied in der Wertentwicklung zwischen Anlagen in Substanz- und Wachstumstiteln hat sich verstärkt, wobei die Differenz im Januar einen neuen Höchststand erreichte: Die Indizes für Substanzwerte erzielten zum ersten Mal seit 20 Jahren eine Outperformance von mehr als 7 Prozent. Grund hierfür ist, dass makroökonomische Faktoren die aktuelle Lage bestimmen und alle Augen auf die Inflationsdaten, die Zinsentwicklungen und die Aussagen der Zentralbanken gerichtet sind. Die mikroökonomischen Fundamentaldaten der Unternehmen erhalten dagegen wenig Aufmerksamkeit, und die Bewertungen haben folglich nachgegeben.

In diesem turbulenten Umfeld stützen wir unsere Aktienstrategie im Kern auf Wachstumsunternehmen mit hoher Transparenz sowie auf defensive Werte. Da sich das Wirtschaftswachstum normalisiert und sich eine anhaltende Inflation abzeichnet, liegt unser Schwerpunkt auf hochwertigen Wachstumsunternehmen mit Preisgestaltungsmacht.

Aus unserer Sicht haben die Märkte zu heftig auf die starke Zinsbewegung reagiert. Zudem sind wir davon überzeugt, dass die Fundamentaldaten der Unternehmen schon bald wieder zum bestimmenden Faktor werden, was Qualitätswerten zugutekommen dürfte. Die Bekanntgabe der Quartalsergebnisse und Prognosen der Unternehmen in diesem Monat könnte den Anstoß für diese neue Dynamik bilden.

In taktischer Hinsicht haben wir einerseits einen Teil unserer Aktienanlagen abgesichert und andererseits Positionen eröffnet, die positiv mit dem Zinsanstieg und einem Umfeld anhaltender Inflation korrelieren. Ein inflationäres Umfeld könnte dem Rohstoffsektor zugutekommen, während die Banken von höheren Zinssätzen profitieren könnten.

Quelle: Carmignac, Bloomberg, 04/02/2022

1Der Zinsanstieg setzte im Anschluss an Woche ein, in der die US-Notenbank, die Bank of England und die Europäische Zentralbank in Bezug auf die Inflation einen schärferen Ton anschlugen. 2Ursprünglich wurde der Inflationshöhepunkt im November erwartet. Inzwischen wird allgemein davon ausgegangen, dass er im Euroraum im Februar oder März mit einem Wert von rund 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erreicht wird. 3Bei den Anleihen mit den kürzesten Laufzeiten, die empfindlich gegenüber geldpolitischen Entwicklungen sind, fiel der Anstieg stärker aus als bei den Anleihen mit den längsten Laufzeiten. 4Inzwischen liegen sie über ihrem gleitenden Dreijahresdurchschnitt. 5Mit einem Wert von rund 90 übertraf der MOVE-Index seine Höchststände vom März 2020.

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